VERABSCHIEDUNG 131 Absolventen bekommen Abgangszeugnis - Lucie-Marie Solaro ist Jahrgangsbeste
Schulleiter Wolfgang Grätz äußert sich kritisch über die Abiturientenflut.
NORDEN/ISH – Da gab es bei vielen kein Halten mehr. „Meine lieben Eltern, ich gehe weg. Ich liebe Euch, aber ich gehe weg...“ Als Sophia Ackermann „Je vole“, den Titelsong des französischen Films „Verstehen Sie die Béliers“ sang, Lars Ulferts sie am Klavier begleitete, flossen die Tränen in den Stuhlreihen der Oberschulaula. 131 Abiturienten des Norder Ulrichsgymnasiums (UGN) erhielten hier am Sonnabendvormittag ihr Abgangszeugnis aus den Händen von Schulleiter Wolfgang Grätz.

Ein emotionaler Abschied, Abschied eines Jahrgangs, wie man ihn sich offensichtlich nur wünschen konnte. Worte des Dankes von allen Seiten in alle Richtungen. Ob Hausmeister oder Eltern, ob Schulsekretärin oder Schulleitung, Kollegium oder Schüler, Schülerin – nach außen wurde deutlich, dass hier alle gemeinsam zum Erfolg des Jahrgangs beigetragen hatten. Und wie: Der Abiturdurchschnitt von 2,45 aller 131 Absolventen sei der beste seit Jahren, sagte Grätz in seiner Rede. 29 mal eine Eins vor dem Komma und gleich viermal 1,0. Lucie-Marie Solaro, Ulf und Nadja Kasolowsky sowie Amelie Stötzel schlossen mit der Traumnote ab, Lucie-Marie Solaro erreichte dabei 877 von 900 möglichen Punkten. „Das ist eigentlich eine 0,7“, erklärte Grätz.
Er war aber nicht der einzige Redner, der an diesem Vormittag explizit darauf hinwies, dass „jeder seine individuelle Leistung erbracht hat und es verdient, entsprechend gewürdigt zu werden“, wie es der stellvertretende Schulleiter Jan-Uwe Voigt formulierte.
Am Ende war es eine überaus gelungene Mischung aus Feierlichkeit, Freude über die erbrachten Leistungen, Lachen über vergnügliche und nicht immer ernst gemeinte Beiträge – da verdienten sich die Elternmit einer Slapstickeinlage einen dicken Sonderapplaus – und Wehmutsstimmung, die für die kurzweiligen Stunden sorgte.
Begleitet von Hjordis Klinge am Klavier, sangen Clare Boily und Thomas Erdbrügger „Time to say Goodbye“: ein Sehnsuchtslied – ist es wirklich so schön, wenn alles vorbei ist...?
Hilke Weyel, Inga Krützkamp und Thi Hieu Vo fassten in Worte, wie sehr die vergangenen gemeinsamen Jahre die Schüler zusammengeschweißt hatten. „Wir wurden nie allein gelassen“, sagten sie, dankten für eine „tolle, lehrreiche und spaßige Zeit“, betonten die wohlwollende Schulleitung und würdigten die Kompetenz des Lehrerkollegiums: So seien versteckte Talente entdeckt worden. Die drei sprachen aus, was an diesem Morgen in der Aula allen bewusst wurde: So schön dieser Moment war, es war auch ein Abschied. „Die Reise hat gerade erst begonnen“, sagten sie, raus aus dem Kokon, in dem viele Seiten helfen, rein in Unabhängigkeit und die alleinige Verantwortung fürs eigene Tun.
Wolfgang Grätz mahnte an, mit dieser Verantwortung behutsam und überlegt umzugehen, sich für die Gesellschaft, die Demokratie einzusetzen und nicht auf die in Parolen formulierten Lösungen hereinzufallen.
Zuvor hatte er sich kritisch mit der allgemeinen Flut guter Noten auseinandergesetzt und den Wert des Abiturs hinterfragt. Abtiturnoten seien überhaupt nicht vergleichbar, sagte er und verwies in diesem Zusammenhang auf einen Berechnungsschlüssel, der bei Spiegel-Online im Internet abrufbar ist. Danach ist es möglich, dass Schüler in einem Bundesland mit relativ guter Note bestehen, in einem anderen allerdings durchgefallen wären. Jedes Bundesland setzt eigene Schwerpunkte bei Anforderungen und Bewertung, Fächer werden unterschiedlich intensiv unterrichtet, Prüfungsmodalitäten sind nicht vergleichbar. Chancengleichheit gebe es nicht, sagte Grätz und sprach sich deutlich gegen eine immer stärker steigende Zahl von Abiturienten aus: „Je mehr Abiturprüfungen bestanden werden, desto geringer wird deren Wert für die einzelne Abiturientin oder den einzelnen Abiturienten.“
Das Problem setze sich an den Universitäten und Hochschulen fort, auch dort gehe es verstärkt um Quoten. Das bedeute aber, dass mancher erst im Alter von 26 bis 28 Jahren merke, dass er bei seiner Ausbildung in eine falsche Richtung gelenkt worden sei „und wichtige Jahre seines Lebens vergeudet hat“.
Den Absolventen des UGN indes bescheinigte der Schulleiter ein „stabiles und angemessen hohes Niveau“. Der Wert des Abiturs am UGN sei unstrittig.
Etliche Abiturienten wurden für herausragende Leistungen ausgezeichnet. Die 1,0-Absolventen brillierten logischerweise auch in einzelnen Fächern. Aber auch andere kamen in den Genuss von Preisen für starke Leistungen in Mathe, Deutsch, Französisch, Politik/Wirtschaft, Physik, Chemie, Erdkunde und Religion.
Für den überaus gelungenen Ablauf am Morgen sorgten weitere Hauptdarsteller. So führten Titus Lensch und Justus Lüken mit kurzen, aber gern spaßigen Moderationen durchs Programm, brachte die Band „Volles Mett“ die Stimmung immer wieder auf einen Höhepunkt, nutzte Lehrer und Vater Marten Lensch die Gelegenheit, das Schulleben aus verschiedenen Perspektiven Revue passieren zu lassen und gab Schülervertreterin Aneele Fischer allen den passenden Spruch mit auf den Weg: „Lust aufs Gewinnen führt Euch eher zum Erfolg als die Angst zu versagen!“

Entnommen aus dem Ostfriesischen Kurier vom 19. Juni 2017, Seite 3.